Mittwoch, 18. Juni 2014

"Die Türken haben nach dem Krieg Deutschland wieder aufgebaut!" Interview mit Claudia Roth

Eine Frau mit Elan und Visionen! Bildquelle, aufgerufen am 18.6.2014

GS.: Hallo, Frau Roth, toll, dass Sie Zeit für ein Interview mit mir haben.

Frau Roth: Gerne! Seitdem ich nicht mehr Vorsitzende der Grünen bin, spreche ich auch mehr mit Leuten, die einen Blog betreiben. Das macht sogar oft richtig Spaß!
 
GS: Damit sind wir schon beim ersten Thema. Sie sind bekannt dafür, viel Spaß zu haben aber wirken gelegentlich emotional auch sehr niedergedrückt.

Frau Roth: Das stimmt. Als ich vom Schwulen Netzwerk NRW mit der Kompassnadel "Hier geht`s lang" ausgezeichnet wurde, war ich tagelang auf Wolke sieben. Genauso, als die Französische Ehrenlegion mich zum Ritter ernannte. Ich selbst nenne mich allerdings Ritterin.

Richtig dreckig ging es mir, als die "Bild" mir eine Amigo-Affäre an zu hängen versuchte! Ich habe aber zurückgeschlagen und Recht bekommen. Viele haben mir damals gratuliert. Ich wiederhole noch einmal: Was ist das für ein Deutschland, in dem man monatelang prozessieren muss, um eindeutige Falschbehauptungen als solche an gleicher Stelle, in gleicher Größe widerrufen zu bekommen? Seitdem rangiere ich regelmäßig auf den vorderen Plätzen der nervigsten Politikerinnen bei der "Bild", was nur zum Teil stimmt.

GS: Frau Roth, Sie haben einmal gesagt, die Türken hätten Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut. Glauben Sie nicht, dass das sehr nationalistisch gedacht ist. Waren nicht auch etliche Italiener, Griechen, Portugiesen und Deutsche mit dabei?

Frau Roth: Ja, mir kam es aber vor allem darauf an, die Türken herauszustellen, da sie in Deutschland zusammen mit den Sinti und Roma, den Schwulen und Lesben die am stärksten verfolgte Bevölkerungsgruppe darstellen und weil ich die Menschen in der Türkei liebe einschließlich ihrer Konflikte und natürlich Börek mit Kichererbsenpüree.

GS: Nun behauptet aber die katholische Kirche, Sie, Frau Roth, behandelten deren Vertreter wie ein Politiker des nationalsozialistischen Terrorregimes.

Frau Roth: Ich halte nichts davon, Frauen zu Gebärmaschinen zu degradieren, dann werde ich stinksauer  und sage, was ich denke: Die katholische Kirche ist durchgeknallt und fundamentalistisch.

GS: Dann wird sie die hohe Geburtenrate in der Türkei und die Stellung der Frau in der Türkei sicher stark beunruhigen.

Frau Roth: Überhaupt nicht, denn ich liebe die türkischen Menschen, ich liebe den Wind in der Türkei, den Sand, das Meer, die Sonne.

GS.: Wie erklären sie sich, dass Sunniten und Shiiten es nun seit 1400 Jahren, obwohl beide den Koran als Grundlage ihres Glaubens ansehen, nicht gelungen ist, in Frieden miteinander zu leben, geschweige sich ethnisch zu mischen. Spricht das nicht klar gegen die These, dass multikulturelles Zusammenleben dauerhaft friedlich möglich, sondern sowohl kulturelle wie ethnische Grenzlinien immer wieder Frontlinien markieren für Auseinandersetzungen um Ressourcen und ökonomische Vorteile?

Frau Roth: Alī ibn Abī Ṭālib war aus meiner Sicht Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Dazu bekenne ich mich. Die Gewalt zwischen den beiden Religionsgruppen ist für mich persönlich auch ein Hilferuf.

Deutschland ist der richtige Ort, an dem beide Gruppen mit moderierender Begleitung lernen können, aufeinander zu zu gehen. Wenn ich eines fernen Tages nicht mehr im Bundestag, werde ich genau das tun: Den Hilferuf nicht von mir weisen, annehmen und mich um die Menschen kümmern, statt sie zu stigmatisieren.

Deutschland ist Multikulti. Der Traum hat gerade erst begonnen.

GS: Frau Roth, Danke für das Gespräch.